Urteile, Blogs und Artikel zum Verkehrsrecht, insbesondere zum Fahrerlaubnisrecht (Führerscheinrecht), zu Bußgeld- und Verkehrsstrafsachen

 

Ordnungswidrigkeitenrecht - Bußgeld wegen unangepasster Geschwindigkeit und Unfallverursachung (Urteil Amtsgericht Bensheim vom 02.07.2019)

Die aktuelle Diskussion um den Bußgeldkatalog 2020 und die weiteren Fehler in den vorigen Bußgeldkatalogverordnungen hat mich an ein Urteil aus meinem Fundus erinnert, das aus anderem Grunde interessant ist:

Es geht um die Frage, ob jeder Unfall und jeder Kontrollverlust über das Fahrzeug tatsächlich auf einer vorwerfbaren Pflichtwidrigkeit des Autofahrers beruht. Nicht nur bei Gerichten glaubt man oft, wenn etwas schief gegangen ist, muss jemand daran schuld sein. In der hier entschiedenen Angelegenheit konnte das Gericht überzeugt werden, dass zumindest das Maß der Schuld so gering war, dass nur ein geringes Bußgeld angemessen war. Das ausgeurteilte Bußgeld liegt unter der Eintragungsschwelle, d.h. die Sache wird nicht in Flensburg eingetragen und kann deshalb keine rechtlichen Folgen insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zur Fahrerlaubnis auf Probe (Probezeit) nach sich ziehen. (Rechtsanwalt Paul Wegener, 14.10.2020)

 

Cannabis als Medikament: Auch bei hohem THC-Wert von 43 ng/ml und Geschwindigkeitsverstoß keine Strafbarkeit nach § 316 StGB wegen Trunkenheit im Verkehr (Amtsgericht Lampertheim Urteil vom 27.02.2020 - 53 Ds - 950 Js 46046/19)

Immer mal wieder versucht die Staatsanwaltschaft bei Autofahrern mit hohen BtM-Werten im Blut, eine Anklage nach § 316 StGB. Nach dieser Vorschrift, die etwas antiquiert im StGB noch immer „Trunkenheit im Verkehr“ genannt wird, ist es eine Straftat, wenn man auf Grund von Alkohol - oder anderen Drogen - in seiner Fahrtauglichkeit erheblich beeinträchtigt ist und gleichwohl ein Kraftfahrzeug führt. Bei anderen Drogen als Alkohol gibt es jedoch keine Blutwerte, die als solche bereits ein „absolute Fahruntauglichkeit“ belegen würden. Bei anderen Drogen müssen konkrete Fahrauffälligkeiten oder schwere drogenbedingten Ausfälle, die die Fahrtauglichkeit aufheben, nachgewiesen sein. Dieser Nachweis ist schwer zu erbringen. Anders als eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG führt eine Straftat nach § 316 StGB nicht nur zu einem Fahrverbot von einem Monat, sondern zur Entziehung von Fahrerlaubnis und Führerschein; §§ 69, 69a StGB.

In vorliegendem Fall war eine sehr hohe THC-Konzentration von 43 ng/ml nachgewiesen, da der Angeklagte Cannabis regelmäßig und in hohen Dosen - als Medikament - erhält. Weder aus der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung und vermeintlich aggressivem Verhalten, noch aus einer angeblichen THC-bedingten zentral nervösen Dämpfung konnte auf eine hinreichende Beeinträchtigung der Fahreignung geschlossen werden.

Auch ein Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG war nicht gegeben, da das Cannabis ordnungsgemäß als Medikament verordnet war und eingenommen wurde.

Unzutreffend ist m.E. nur die Kostenentscheidung des Amtsgerichts; wir haben insofern Beschwerde eingelegt, eine Entscheidung darüber steht noch aus.

 

Klare Entscheidung zu Cannabis als Medikament: VG Düsseldorf Urteil vom 24.10.2019 - 6 K 4574/18

Das Urteil nebst Begründung liegt noch nicht vor. Der Pressemitteilung ist aber in knapper und übersichtlicher Weise zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen bei Anwendung von Cannabis als Medikament der Führerschein wieder zu erteilen bzw. zu belassen ist. Bereits der Pressemitteilung ist auch zu entnehmen, dass Auflagen zur regemäßigen Nachunteruntersuchung hier grundsätzlich nicht verfügt werden dürfen. 

Die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ist daher durchaus lesenswert.

 

 

Cannabis als Medikament und Fahrerlaubnis/Führerschein - MPU ohne Maßstab

Bereits seit dem 10. März 2017 ist Cannabis in Deutschland auf Rezept erhältlich. Auch schon zuvor wurden in seltenen Fällen Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Besitz von Cannabis an Schwerkrankte erteilt. Cannabis als Medizin verbreitet sich immer mehr, insbesondere bei Krankheiten, die mit chronischen Schmerzen verbunden sind, aber auch bei ADHS und zur Behandlung von Nebenwirkungen von klassischen Medikamenten, die beispielsweise bei HIV-Infektionen eingesetzt werden.


Die naheliegende Folgefrage ist, wie steht es bei diesen Patienten mit Fahrerlaubnis und Führerschein? Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) bestimmt, dass bei regelmäßigem Konsum von Cannabis keine Fahreignung gegeben ist; laut dem Verordnungstext gilt dies in der Regel und Ausnahmen von dieser Regel werden von den Verwaltungsgerichten kaum anerkannt. Die Medikamentation mit Cannabis und die Tatsache, dass immer mehr Menschen legal Cannabis konsumieren und gleichzeitig als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, führt zwangsläufig zu neuen Fragestellungen und manchen Friktionen im Fahrerlaubnisrecht. Man muss sich vor Augen halten: Bei gewöhnlichen Cannabiskonsumenten, die im Straßenverkehr auffallen, werden meist THC-Werte von 1 bis 10 ng/ml festgestellt. Bei Personen, die mit Cannabis medikamentiert sind, kommt es zwangsläufig zu Blutwerten von 20 ng/ml oder mehr, da die verordneten Tagesdosen bei ca. 3 g Cannabisblüten liegen. Es liegt auf der Hand, dass die Freigabe von THC als Medikament einiges in Frage stellt, was bisher der Überprüfung der Kraftfahreignung durch die Fahrerlaubnisbehörden sowie durch die MPU-Untersuchungsstellen in den letzten Jahrzehnten als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Denn klar ist auch, dass von Seiten des Bundesministeriums für Verkehr sowie der Bundesregierung davon ausgegangen wird, dass eine Medikamentierung mit Cannabis und die Kraftfahreignung sich grundsätzlich nicht ausschließen.

Unter welchen Voraussetzungen die Kraftfahrereignung bei mit Cannabis Medikamentierten gegeben ist, ist derzeit schwer zu sagen. Anfang dieses Jahres waren durch das BAST (Bundesamt für Straßenverkehrswesen) noch Empfehlungen zur Untersuchung der Kraftfahreignung bei mit Cannabis Medikamentierten veröffentlicht worden. In diesen ging man davon aus, dass grundsätzlich (nur) eine fachärztliche Begutachtung durch einen zugelassenen Verkehrsmediziner notwendig sei. Nur in Ausnahmefällen, insbesondere bei Hinweisen auf der vorherigen, gesetzeswidrigen Cannabiskonsum bzw. -besitz, sei die Durchführung einer MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung) geboten. Diese Empfehlungen besaßen keinen Verordnungscharakter, sie waren für die Führerscheinstellen nicht bindend. Sie wurden später von den Internetseiten der BAST wieder gelöscht, also gewissermaßen zurückgenommen. Die offiziellen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung enthalten auch in ihrer aktuellen Auflage vom 24. Mai 2018 nichts zum Thema. Recht detailliertere, in Teilen unfertig erscheinende Handreichungen enthält eine Veröffentlichung der Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e.V. (DGVP). Diese „Handlungsempfehlung-Cannabismedikamentation“ wurde erstmals im Oktober 2017 veröffentlicht und liegt nun in einer überarbeiteten Fassung vom 15.08.2018 vor, besitzt aber keinen offiziellen Charakter.

Aus den vorliegenden Veröffentlichungen zum Thema lässt sich als rote Linie herauslesen: Zumindest die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gegenüber Cannabispatienten ist notwendig. Genauso wie bei anderen Personen, denen andere Medikamenten verschrieben sind, die ebenfalls die Fahrtüchtigkeit beeinflussen können und BTM-Charakter besitzen, kommt alternativ oder in einem zweiten Schritt die Anordnung einer MPU in Betracht. Gegenstand der vorzunehmenden und vom Betroffenen vorzulegenden Untersuchungen ist u. a. die Frage, ob eine zutreffende Medikamentierung vorliegt, ob die tatsächlichen Medikamentierung auch im Rahmen der Verordnung erfolgt, ob Beikonsum von Alkohol vorliegt und wie dieser zu bewerten ist sowie, zumindest im Einzeltfall, ob Beeinträchtigungen der Kraftfahreignung insbesondere in der Wahrnehmungsfähigkeit und bezüglich der Reaktionsgeschwindigkeit feststellbar sind.

Das große praktische Problem ist nach meiner Einschätzung: Eine wirklich fachkundige und unbefangene Untersuchung und Begutachtung ist hier nur eingeschränkt gewährleistet. Die Begutachtungsstellen sind mit der neuen Materie überfordert und erscheinen voreingenommen, nachdem sie jahrzehntelang davon ausgegangen sind, dass regelmäßiger Cannabiskonsum fahreignungsausschließend sei. Vielleicht ist manche Führerscheinstellen hier noch flexibler in ihrer Anschauung und eher bereit, die Besonderheiten einer Medikamentierung mit Cannabis in Rechnung zu stellen.

Da die Fahrerlaubnisbehörden allerdings gezwungen sind, Untersuchungen anzuordnen, sobald sie Kenntnis von der Cannabismedikamentierung eines Fahrerlaubnisinhabers erlangen, ergibt sich für die Betroffenen ein Dilemma: Sie müssen ein Gutachten vorlegen, obwohl keine hinreichenden Kriterien für dessen fachkundige Erstellung definiert sind. 

Rechtsanwalt Paul Wegener, 14.11.2018

  

Misslungene Neuregelung: Handyverbot, Naviverbot und was nun wirklich verboten ist

Ohne dass dies allzu viel Aufmerksamkeit erregt hätte, ist mit Wirkung zum 10. Oktober 2017 die Regelung zum Handyverbot am Steuer komplett umgearbeitet und erweitert worden.
Zuvor stritt man sich bei Gericht darüber, ob das Telefon tatsächlich aufgenommen und hinreichend lange gehalten wurde, oder ob das Smartphone nicht vielleicht nur ein Diktiergerät war. Nun unterfallen alle digitalen Alltagshelfer wie Tablets, Diktiergeräte, Laptops und - vor allem Navigationsgeräte - dem Verbot.
Ob das neue Gesetz ein großer Wurf ist, mag sich noch erweisen. Auf den ersten Blick fällt nach dem Wortlaut unter anderem auf: Fernsehen zu schauen, scheint nicht erfasst, wenn man das Gerät via Sprachbefehl an-, um- und ausschalten kann. Unter entsprechenden Voraussetzungen wären wohl auch komplexere Vorgänge wie das Erstellen von Tabellenkalkulationen oder Computerprogrammen nicht bußgeldbewehrt?
Für die  Praxis wichtig: Auch Navis sind erfasst. Sie dürfen während der Fahrt nur bedient werden, wenn man sie entweder ausschließlich über die Sprachsteuerung bedient oder nur eine kurze Blickabwendung vom Verkehr erforderlich ist. Dem Wortlaut nach könnte jedes Berühren des Touchscreens erfasst sein, aber der Gesetzes- bzw. Verordnungsgeber meinte wohl, dass das Gerät nur schnell und einfach zu bedienen sein muss. Dies allerdings ist von vielem abhängig: von der Programmierung, der Hardware, der Positionierung und Halterung des Geräts - und nicht zuletzt von Geschick und Sehschärfe des Bedienenden.
Meines Erachtens stellt sich mithin die Frage, ob das neue Verbot hinreichend klar gefasst ist, um dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes zu genügen.
Einstweilen sei festgehalten, das Bußgeld wurde auf im Regelfall 100,- Euro nebst 1 Punkt in Flensburg  (bei Gefährdung z.b. 150,00 Euro, 2 Punkte, 1 Monat Fahrverbot) erhöht, und es werden viele Fragen zu klären sein – bei Gericht.

Die Neuregelung in § 23 StVO lautet:
 (1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder
a)    nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder
b)    zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.
Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.
(1b) Absatz 1a Satz 1 bis 3 gilt nicht für
1.    ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
2.    den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,
3.    stehende Straßenbahnen oder Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).

 

Endlich: Bundesverwaltungsgericht hebt Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zu MPU nach erster Alkohlfahrt auf

Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine einmalige Trunkenheitsfahrt ohne das Hinzutreten weiterer Tatsachen erst ab einer BAK von 1,6 Promille die Anforderung einer MPU erlaubt (Urteile vom 06.04.2017 zu Az. 3 C 24/15 sowie zu Az. 3 C 13/16). Es gilt also (wieder) die klare Regelung in § 13 Fahrerlaubnisverordnung: Bei Ersttätern ist eine MPU in der Regel erst ab 1,6 Promille notwendig. Wenn andere Tatsachen auf erhebliche Alkoholprobleme hindeuten, kann sich natürlich anderes ergeben.
Die unten besprochene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist damit vom Tisch.
Rechtsanwalt Paul Wegener 07.04.2017


 
Und noch einmal: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, die MPU und die Promille

Es scheint, er bleibt dabei - aber so ganz sicher ist sich der VGH Mannheim wohl auch nicht. Er hatte bereits im Januar 2014 in einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes entschieden, dass nach seiner Meinung die Promillegrenze von 1,6 für die Anordnung einer MPU nicht gelte. Eine MPU sei vielmehr nach jeder strafgerichtlichen Fahrerlaubnisentziehung notwendig (dazu hatte ich bereits durch unten stehenden Beitrag berichtet). Nach Erlass dieser Entscheidung im Jahr 2014 hat der VGH zum Teil außerordentliche harsche Kritik in der Fachpresse geerntet (Mahlberg in DAR 2014, 419; Haus in zfs 2014, 479).
Durch ein nun vorliegendes Urteil hat der Gerichtshof seine Rechtsauffassung trotzdem noch einmal bestätigt (VGH Ba-Wü, Urteil vom 07.07.2015, 10 S 116/15). Es fällt dabei auf, dass er sich abermals alle Mühe gibt, eine umfassende Begründung abzuliefern. Die Entscheidung kommt immerhin auf über 12 eng bedruckte Seiten.
In der Sache ändert dies nach meinem Dafürhalten nichts daran, dass die Auffassung des Gerichtshofs nicht haltbar ist. In einfachen, auch einem Rechtslaien zugänglichen Worten, lässt sich dem Gericht entgegenhalten: In § 13 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ist geregelt, dass bei Ersttätern eine MPU erst ab 1,6 Promille notwendig ist. Diese Regelung gilt seit Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung im Jahr 1999. Die Fahrerlaubnisverordnung wurde vom Bundesministerium für Verkehr erlassen und inzwischen vielfach geändert. Wenn das Bundesministerium wollte, dass eine MPU bei jeder strafgerichtlichen Entziehung wegen Alkohol notwendig wäre, hätte das Ministerium dies längst ausdrücklich in die Fahrerlaubnisverordnung hinein geschrieben.
Neben dem großen Begründungsaufwand fällt weiter auf, dass der Gerichtshof die Berufung zulässt. Gleichzeitig gibt er seiner Entscheidung durch deren dritten Leitsatz eine weitere, grundsätzlich unabhängig tragfähige Begründung. Mag sein, er fürchtet die Berufung und will er sein Ergebnis zumindest für den Einzelfall absichern.

Die aktuelle Diskussion um den Bußgeldkatalog 2020 und die weiteren Fehler in den vorigen Bußgeldkatalogverordnungen hat mich an ein Urteil aus meinem Fundus erinnert, das aus anderem Grunde interessant ist:

Es geht um die Frage, ob jeder Unfall und jeder Kontrollverlust über das Fahrzeug tatsächlich auf einer vorwerfbaren Pflichtwidrigkeit des Autofahrers beruht. In der hier entschiedenen Angelegenheit konnte das Gericht überzeugt werden, dass zumindest das Maß der Schuld so gering war, dass nur ein geringes Bußgeld angemessen war. Das ausgeurteilte Bußgeld liegt unter der Eintragungsschwelle, d.h. die Sache wird nicht in Flensburg eingetragen und kann deshalb keine rechtlichen Folgen insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zur Fahrerlaubnis auf Probe (Probezeit) nach sich ziehen.


 

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg meint:  MPU wegen Alkohol - 1,6 Promille-Grenze gilt nicht (mehr)

Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs  (VGH Ba-Wü 15.01.2014 -10 S 1748/13) - auch erhältlich unter http://www.justiz.baden-wuerttemberg.de) besagt: Wenn die Fahrerlaubnis wegen einer Alkoholfahrt vom Strafgericht entzogen wurde, muss auf jeden Fall eine MPU abgelegt werden.
Zur Begründung bezieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch auf eine ältere Entscheidung vom ihm aus 2012 (VGH Ba-Wü 18.06.2012 - 10 S 452 - auch erhältlich unter http://www.justiz.baden-wuerttemberg.de). Beide Entscheidungen muss man also zusammen lesen. Insgesamt betreibt der Verwaltungsgerichtshof einen erheblichen Begründungsaufwand. Kurz gefasst ergibt sich:
Nach einer Alkoholfahrt wird der Führerschein in aller Regel durch das Strafgericht entzogen, wenn eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) vorlag. Dies setzt voraus, dass der Täter bei der Fahrt mindestens 1,1 Promille hatte oder mindestens 0,8 Promille und zusätzlich klare alkoholbedingte Fahrfehler nachgwiesen sind. Nach einer solchen Alkoholfahrt wird die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrzeit vom Strafgericht ausgesprochen. Nach Ablauf der Sperrfrist kann dann die Wiedererteilung von Fahrerlaubnis/Führerschein bei der Führerscheinstelle beantragt werden.
Bisher wird zur Wiedererteilung von den Führerscheinstellen eine MPU in solchen Fällen nur gefordert, wenn man 1,6 Promille oder mehr hatte oder zum zweiten Mal mit Alkohol im Verkehr aufgefallen ist. So steht es in § 13 Absatz 2 b und § 13 Absatz 2 c der Fahrerlaubnisverordnung (FeV).
Nun meint der VGH, wenn die Fahrerlaubnis durch das Strafgericht wegen einer Tat nach § 316 StGB (Trunkenheitsfahrt) entzogen wurde, habe das Strafgericht festgestellt, dass der Betroffene in alkoholbedingt fahruntauglichem Zustand ein Fahrzeug geführt habe, deshalb liege „Alkoholmissbrauch“ im Sinne von Nr. 8.1 Anlage 4 zur FeV vor und die MPU sei nach § 13 Absatz 2 d FeV i.V.m. § 13 Absatz 2 a FeV notwendig.
Dieser Begründung stehen verschiedene Grundsätze der juristischen Wissenschaft zur Gesetzesauslegung entgegen.
Eine ausführlichere Analyse kann an dieser Stelle sicher nicht erfolgen. Ich möchte nur anmerken, dass seitdem die FeV im Jahr 1999 in Kraft getreten ist, Führerscheinstellen und Gerichte grundsätzlich meinen, dass 1,6 Promille oder ein Wiederholungsfall notwendig sind. Viele gerichtliche Entscheidung bestätigen dies, setzen es voraus und bauen darauf auf.
Durch meine Arbeit lerne ich viele Betroffene und ihre Geschichte kennen, lese viele Führerscheinakten und Verkehrszentralregisterauszüge. Danach habe ich nicht den Eindruck, dass bei erstmaliger Alkoholfahrt bei unter 1,6 Promille und strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis ein erhebliches Rückfallrisiko bestände. Die Betroffenen sind meist durch das Strafverfahren und den Führerscheinentzug abgeschreckt. Oder es lag tatsächliche eine einmalige Sondersituation vor, die sich kaum wiederholen kann.
Rechtsanwalt Paul Wegener 23.05.2014

Dem Vernehmen nach gibt es in Baden-Württemberg nun bereits eine Verwaltungsanweisung an die Führerscheinstellen, nach der bei Wiedererteilung nach Entziehung des Führerscheins wegen Alkohol ab 1,1 Promille eine MPU gefordert werden soll. Auch dies macht deutlich, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs alsbald durch das Bundesverwaltungsgericht geprüft werden sollte. Übrigens, auch wenn sich das Urteil des VGH vom 15.01.2014 anders liest, zu der dort maßgeblichen Frage hat das Bundesverwaltungsgericht bisher sicherlich nicht im Sinne des VGH entschieden.
Rechtsanwalt Paul Wegener 26.05.2014


Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Koblenz, Beschluss vom 01.09.2011, Az. 10 B 10683/11.OVG  (PDF-Datei)
Kein Fahrradverbot nach mehrfacher Alkoholfahrt mit dem Auto: Die Anordnung von Maßnahmen gemäß §§ 3 Abs. 2, 13 Abs. 1 FeV unterliegt selbst bei erwiesener Nichteignung des Betroffenen dem Auswahlermessen der Behörde. Die Anordnung einer MPU unter Androhung der Untersagung des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge ("Fahrradverbot") nach Alkoholfahrten mit einem Kraftfahrzeug ist zumindest dann rechtswidrig, wenn andere, weniger belastende Maßnahmen wie z.b. die Anordnung der Vorlage von ETG-Bescheinigungen in Betracht kommen.
 

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Koblenz, Beschluss vom 08.06.2011, Az. 10 B 10415/11.OVG (PDF-Datei)
Kein Fahrradfahrverbot nach einer Alkoholfahrt mit dem Auto bei 1,1 ‰ Alkohol:
Mangelnde Eignung zum Fahrradfahren kann grundsätzlich nicht aus einer Alkoholfahrt mit einem Kraftfahrzeug abgeleitet werden. Auch bei erwiesener fehlender Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und deutlichen Alkoholproblemen kann ein Fahrradfahrverbot nur ausgesprochen werden, wenn belegt ist, dass der Betroffene betrunken Rad gefahren ist.
Der Betroffene war als Autofahrer mit 1,1 ‰ Alkohol aufgefallen, weshalb ihm durch Strafbefehl der Führerschein entzogen wurde. Nach Ablauf der Sperrfrist stellte er eigentlich nur einen Antrag auf Wiedererteilung des Führerscheins für sein Auto. Darauf forderte die Führerscheinstelle Ludwigshafen zuerst ein fachärztliches Gutachten. Nachdem das Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass Alkoholprobleme vorlägen, wurde durch die Führerscheinstelle eine MPU angeordnet. Da der Betroffene diese nicht vorlegte, wurde nicht nur der Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt. Die Führerscheinstelle hat außerdem das Führen nicht erlaubnispflichtiger Fahrzeuge untersagt, also das Fahrradfahren verboten. Dieses Fahrradfahrverbot ist gemäß der Gerichtsentscheidung des OVG Koblenz rechtswidrig.


Oberverwaltungsgericht Koblenz, Beschluss vom 25.09.2009, Az. 10 B 10930/09.OVG (PDF-Datei)
Es ist unverhältnismäßig einem Fahrradfahrer, der keine Fahrerlaubnis besitzt, nach einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad (mit 2,33 Promille) das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge zu verbieten, weil er sich geweigert hat eine MPU vorzulegen. Schon die Anordnung einer MPU kann in einem solchen Fall unverhältnismäßig sein.

 

Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil von 08.10.2007, Az. 3 K 61/07.NW (PDF-Datei mit nichtamtlichen Leitsätzen)
Es kann keine MPU angeordnet werden, wenn lediglich Drogenbesitz - nicht Drogenkonsum - nachgewiesen ist:
Darf eine MPU angeordnet werden bzw. der Führerschein entzogen werden, wenn der Betroffene die Aufforderung zum Drogenscreening verspätet erhalten hat? Das Gericht weist darauf hin, dass dies grundsätzlich nicht zulässig ist.
Zu den Anforderungen an ein fachärztliches Gutachten zum Nachweis von BTM-Konsum: Es ist nicht Sache des Gutachters ist, rechtliche Erwägungen oder bloße Vermutungen anzustellen

 

Verwaltungsgericht Neustadt, Beschluss vom 19.05.2006, Az. 3 L 631/06.NW (PDF-Datei)
Im Verfahren zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Entziehung wegen Alkohol hat der Betroffene hat ein Recht auf mehrere medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU). Um dies durchzusetzen, steht ihm im laufenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entgegen dem Wortlaut des § 44 a VwGO ausnahmsweise das Rechtsmittel der einstweiligen Verfügung offen.
 

EU-Führerschein - Rettung bei Fahrerlaubnisproblemen wegen Alkohol oder Drogen?
Artikel Rechtsanwalt Paul Wegener

 

Das Wichtigste zur Geltendmachung eines Unfallschadens - Ihre Rechte nach einem Verkehrsunfall
Welche Ansprüche haben Sie? Worauf ist zu achten, damit Ihnen kein Geld verloren geht? Zur Regulierung Ihres Unfalls, ist an vieles zu denken. Es geht um Sachverständige, Versicherungen, vielleicht um einen Mietwagen -  und immer um Ihr Geld. Woran muss man denken, damit alle entstehenden Kosten ersetzt werden?

  

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